Lieber schlau als blau - für Jugendliche

FOCUS 30/2010, 26.07.2010

„Ich verführe nicht zum Alkohol“

Der Psychologe Johannes Lindenmeyer polarisiert mit dem Präventionsprojekt „Lieber schlau als blau“, das Jugendlichen maßvolles Alkoholtrinken vermitteln soll

Herr Lindenmeyer, warum lehren Sie mit „Lieber schlau als blau“ Jugendliche das richtige Trinken?
Wir stellen uns der Realität: 85 Prozent der erwachsenen Deutschen trinken Alkohol. Auch die meisten Jugendlichen werden früher oder später zu Bier, Wein oder Hochprozentigerem greifen. Sie beginnen damit meist zwischen dem 13. und dem 15. Lebensjahr. Unser Projekt verfolgt das Ziel, die Risiko-Trinkphase so kurz und harmlos wie möglich zu halten. Ihre Erwartungen in Bezug auf Alkohol ändern sich nicht durch Belehrung, sondern durch Selbsterfahrung ...

... die in einem Besäufnis unter Kontrolle eines Lehrers besteht?
Eben nicht. „Lieber schlau als blau“ ist ein entwicklungs- und suchtpsychologisch fundiertes Programm, um Alkoholexzesse von Heranwachsenden zu verhindern. Dazu gehört ein Trinkexperiment, bei dem vorab genau festgelegt wird, ob ein Teilnehmer in Abhängigkeit von seinem Alter ein, zwei oder drei Gläser trinken darf. Die Schüler haben dann höchstens einen Schwips. Danach pusten sie ins Röhrchen und lösen Aufgaben am Computer. Sie merken, wie Fingerfertigkeit und Konzentrationsfähigkeit schon nach wenig Alkohol eingeschränkt sind. Bei der Auswertung einer Videoaufnahme realisieren sie schließlich, dass sie unter Alkohol wesentlich weniger cool wirken, als sie angenommen hatten. Da schwindet der Fanclub so manchen Angebers, der maßvolles Trinken nicht beherrscht, und so mancher Hänfling beeindruckt als ein „Profi“, der das schon kann.

Sind Warnungen von Erwachsenen sinnlos, weil Jugendliche ihre Erfahrungen selbst machen müssen?
Es ist doch das Wesen jeder Pubertät, dass in dieser Zeit die Normen der Erwachsenen nicht mehr gelten. Zur Ausbildung einer eigenen Identität gehört es, gegen die Erwachsenenwelt zu opponieren. Ab etwa dem zwölften Lebensjahr fangen viele Jugendliche an zu glauben, ein bisschen Alkohol sei gut - und mehr Alkohol sei besser. In unserem Programm lernen sie am eigenen Leib, dass das nicht stimmt. Vorbild sind Programme an amerikanischen Colleges mit dem Ziel, die Risiken zu minimieren.

Führen Sie bis dato unerfahrene Jugendliche in die Welt des Alkohols ein?
Wir initiieren keinerlei Alkoholkonsum. Niemand nimmt am Trinkexperiment teil, der noch keinen Alkohol getrunken hat. Im Gegenteil, er wird in seiner Abstinenz bestärkt.

Wie begegnen Sie den Ängsten der Eltern?
Wir informieren sie vorher sehr genau, und das überzeugt viele. Schließlich wird „Lieber schlau als blau“ nur dann in einer Klasse durchgeführt, wenn die Mehrheit der Eltern dafür ist.

Und wie reagieren Sie auf die Kritik von Politikern, die schädlichen Wirkungen von Alkohol müsse nicht jeder im Selbstversuch erfahren?
Die Vehemenz, mit der das Programm von manchen bekämpft wird, befremdet mich. Anstatt hysterisch zu reagieren, sollten sich diese Leute mal auf den aktuellen Stand der internationalen Forschung bringen. Ich behandle seit 30 Jahren mit großem Engagement Alkoholiker. Mir zu unterstellen, ich würde Jugendliche leichtfertig zum Alkohol verführen, erbost mich.

Würden Sie den Kurs mit Ihren Kindern durchführen?
Natürlich. Mein Sohn wollte im Alter von 13 oder 14 Jahren an Silvester ein Glas Sekt trinken. Wir erlaubten es, und er merkte selbst, dass das etwas zu viel war: Er fand nicht mehr auf Anhieb den Knopf am Radio, um es lauter zu stellen. Das war bei uns zu Hause, da konnte nichts Schlimmes passieren. Irritiert fragte er: „Muss ich jetzt in die Klinik?“ Ich sagte: „Nein, aber gewisse Fähigkeiten sind eingeschränkt.“ Er kam darauf, dass er besser nicht Fahrrad fahren sollte. Durch dieses Erlebnis war er besser gegen den Gruppendruck mitzutrinken gewappnet. Persönliche Erfahrung zählt unter Jugendlichen mehr als theoretische Kenntnisse.

Sie raten also Eltern, ihren Kindern beizeiten einen moderaten Genuss von Alkohol beizubringen, weil die meisten irgendwann sowieso trinken werden?
Es wäre fahrlässig, wenn Jugendliche den Umgang mit Alkohol nur in ihrer Clique erlernten. Ein besonderes Risiko besteht für Mädchen. Sie sind in der Regel mit zwei Jahre älteren Jungen zusammen, und die gleiche Alkoholmenge führt bei ihnen zu einem fast doppelt so hohen Promillewert. Darauf zielen viele Jungen ja ab, um sich Mädchen gefügig zu machen. Solche lebenswichtigen Dinge sollte man ohne moralischen Unterton vermitteln.

Interview: Ulrike Plewnia

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